Neuer Platz - Klagenfurt, 2021

(c) Herbert Wieser

Zur "Begegnung" von Ingeborg Bachmann und Gert Jonke 

Die Inszenierung ist eine poetische Architektur, die von der literarischen Vermessung der Landschaft durch Texte von Ingeborg Bachmann und Gert Jonke umhüllt wird. Beginnend mit der Jugend, denn die „Jugendjahre sind, ohne daß ein Schriftsteller es anfangs weiß, sein wirkliches Kapital …“ (Ingeborg Bachmann im Interview mit Veit Möller, 1971), wird das Publikum auf eine audiovisuelle Reise durch Leben und Werk von Ingeborg Bachmann und Gert Jonke mitgenommen. Die Inszenierung pendelt zwischen Außenwelt und Innenleben, zwischen literarischem Werk und prägenden privaten Erlebnissen, wodurch ein Bild der beiden Autoren erzeugt wird.

Wie begegnen sich Ingeborg Bachmann und Gert Jonke? Belegt ist, dass sie sich bei einer Lesung in St. Veit an der Glan tatsächlich begegnet sind.

RAUM-HEIMAT

Beide wurden in Klagenfurt geboren, zuerst Ingeborg Bachmann (1926), dann zwanzig Jahre später Gert Jonke. Wie viele Autor*innen beschäftigten sich auch Bachmann und Jonke mit ihrem Geburtsort, ihrer Heimat. Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg wird Heimat zu einem schwierigen Thema im deutschsprachigen Raum, weil der Begriff von den Nationalsozialisten über Jahre vereinnahmt wurde. Zugleich gewinnt er in der Nachkriegszeit an Bedeutung, weil durch den Krieg so viele Menschen ihre Heimat verloren hatten. Ingeborg Bachmann hatte bekanntermaßen enorm damit zu kämpfen, dass ihr geliebter Vater schon so früh der NSDAP beigetreten war. Die kollektive Schuld, wird auch durch ihre Beziehung zu Paul Celan, der durch die Gräuel dieser Zeit seine Familie verloren hat und flüchten musste, zu einem wichtigen Thema der Autorin.

Jonke, der nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde, schafft einen abstrakteren Zugang zur Heimat, der alle Elemente des klassischen Heimatbegriffs in sich vereint, aber den Begriff doch für ein neues Denken von Heimat öffnet: „Von dieser Geschichte her kommen wir von der Heimat als Zeit oder als Tag und Nacht ganz leicht zur Heimat als Musik oder, wie es mich betrifft zur Heimat als Sprache oder Sprache als Heimat. Und von Sprache als Heimat kommen wir abschließend zur Heimat als Utopie oder Heimat als Traum oder dem Traum als Heimat.“ Der Heimatbegriff bleibt für viele bis heute ungreifbar, Jonke macht diese Vieldeutigkeit deutlich.

ZUR SPRACHE KOMMEN

Ingeborg Bachmann wuchs recht behütet in Klagenfurt auf: Zwar zuerst flüsternd, wegen dem Hausherrn in der Durchlassstraße, den die Kinder nicht mit Lärm belästigen sollten, später im Haus in der Henselstraße, das nun bald der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden soll. Die Familie verbrachte auch viel Zeit im vorderen Gailtal, im Dreiländereck, wo sich Bachmann wohl zum ersten Mal verliebte, und den Entschluss fasste, Philosophie zu studieren.

Bachmann schrieb schon als Jugendliche sehr viel, ebenso wie Gert Jonke. Prägend war für Bachmann der Schriftsteller Josef Friedrich Perkonig, der sie in der NS-Lehrerbildungsanstalt unterrichtete. Ihre frühen Texte orientieren sich offensichtlich an diesem ersten Mentor.
  
Von Jonkes Kindheit und Jugend ist weit weniger bekannt. „Ich habe nämlich zuerst Gedichte gehaßt und zwar deshalb, weil sie gereimt waren und ich Kinderreime immer fürchterlich gehaßt habe. Und dann habe ich plötzlich ein Gedicht von Trakl gelesen, das nicht gereimt war.“, beschreibt er seinen Zugang zur Lyrik. Ein prägendes Ereignis seiner Jugend war das Schreibverbot, das ihm verordnet wurde: „Und dann verbot mir dieser sich wohl wie der Kaiser sämtlicher Erziehungsanstalten in Kärnten, wie ein Allmächtiger vorkommende verblödete Oberamtsrat ein für alle Mal das Schreiben von Gedichten und auch deren Veröffentlichung“. Eine Qual für Jonke, der das Schreiben als „einzig erträgliche Lebensform“ beschrieben hat. 

ÖFFENTLICHER RAUM

Durch den nach Bachmann benannten Preis, der jährlich im Rahmen der Tage der deutschsprachigen Literatur vergeben wird, positioniert sich die Geburtsstadt beider Autoren als Literaturstadt. Durch andere in der Stadt geborene oder hier wirkende Literat*innen bekannte wie Robert Musil und Josef Winkler, aber auch jene, die noch zu wenig in der öffentlichen Wahrnehmung präsent sind, wie Christine Lavant und Georg Timber-Trattnig, ist die Bezeichnung „Literaturstadt“ gerechtfertigt, auch wenn die Idee nur begrenzt gelebt wird, noch zu wenig im täglichen Leben und Bewusstsein der Stadt verankert ist. Auch Bachmann und Jonke, die sich in der Inszenierung begegnen sollen, unterscheidet der Grad der Bekanntheit. Bachmann war bereits zu Lebzeiten ein Star – eine Lyrikerin am Spiegel-Cover! – und ihr Leben bot viel Stoff, der sie abseits von ihrer Literatur einer breiten Öffentlichkeit bekannt machte. „(…) vielleicht darum, weil Künstler oft durch die Art ihrer Nebenbeschäftigungen die Phantasie der anderen weitaus mehr und nachdrücklicher beschäftigen und seltener durch das, wodurch sie es eigentlich tun sollten und wohl auch hin und wieder tun – durch ihre Arbeiten.“, wie sie in der unvollendeten Erzählung „Portrait von Anna Maria“ schreibt. Gert Jonke ist – zu Unrecht! – weit weniger bekannt, weniger in der Öffentlichkeit präsent, weil keine Gasse, kein Dorfplatz, kein Park und keine Schule nach ihm benannt wurde. Immerhin gibt es seit 2010 den Gert-Jonke-Preis, gestiftet vom Land Kärnten und der Stadt Klagenfurt, der alle zwei Jahre vergeben wird. Zum Glück setzt sich Ingrid Ahrer mit der Gert-Jonke-Gesellschaft sehr engagiert dafür ein, sein Werk nachhaltig zu pflegen und in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Wichtig für die öffentliche Wahrnehmung von Gert Jonke sind jedenfalls die Publikationen (Alle Stücke / Alle Gedichte) vom Jung und Jung Verlag, die in den letzten Jahren erschienen sind.

Durch die Masse an Sekundärliteratur, die zum Leben und Werk von Ingeborg Bachmann bisher verfasst wurde, bleibt Jonke weiterhin im Vergleich rätselhaft, unerschlossen, geheimnisvoll. Trotzdem hat Jonke auch (prominente) Fans: André Heller, Joachim Lux, Oliver Welter …

Interessanter als die Unterschiede zwischen den beiden Autoren ist aber die Frage nach den Gemeinsamkeiten abseits des Geburtsorts, der Heimat. Auch wenn beide noch in dieser Stadt über ihren Tod hinaus präsent sind, wollten beide aus Klagenfurt weg und weiterziehen, in Wien studieren, denn „[i]n diese Stadt ist man selten aus einer anderen Stadt gezogen, weil ihre Verlockungen zu gering waren; man ist aus den Dörfern gekommen, weil die Höfe zu klein wurden, (…)“.

HUMOR

Der Humor und das Groteske sind in Jonkes Texten offensichtlicher als in jenen von Bachmann, aber auch sie war eine humorvolle Person, groteske Elemente finden sich auch in ihren Texten, privat konnte sie laut Hans Werner Henze auch ganz albern sein. Dieser Eindruck wird auch von ihrem Lektor bestätigt: „Diese Person hatte Humor. Das ist bei ihrem auch wieder absoluten Ernst etwas Erstaunliches. Sie lachte sehr gern, war sehr albern.“

Dieser Aspekt von Ingeborg Bachmann findet in der öffentlichen Wahrnehmung aber kaum Beachtung, weil der Mythos Ingeborg Bachmann vorwiegend mit ihren dramatischen Beziehungen, Diskussionen über ihren psychischen Zustand und die Alkohol- und Tablettensucht aufgeladen ist. „Der Roman war beendet, unter Qualen, Krisen, Ausbrüchen, wie alles, was Ingeborg Bachmann produzierte.“, erinnert sich Hans Weigel, der, während ihrer Zeit in Wien, eine enge Beziehung zu ihr pflegte und ihr Mentor und Unterstützer war. Solche Reduktionen, vor allem von männlichen Kollegen, erzeugen ein unzureichendes Bild von einer Frau, die Weltliteratur geschrieben hat. „Nebenbei: In Österreich käme niemand auf die Idee, die Bachmann für eine große Dichterin zu halten.“, schrieb Herbert Eisenreich nach der Veröffentlichung von „Anrufung des Großen Bären“ an einen Freund. Diesen gehässigen Kommentar kann man aus heutiger Sicht mit Humor nehmen. „Was würden Freund*innen über sie sagen?“, fragt Gerhard Fresacher, der sich vor der Bearbeitung eines Werks intensiv mit dem Autor und seinem Werk beschäftigt, bis er das Gefühl hat, mit den jeweiligen Literat*innen eng verbunden, ja sogar auf eine gewisse Weise befreundet zu sein. Nur so kann er guten Gewissens das Werk bearbeiten, es zerteilen, neu zusammensetzen und vor allem inszenatorisch bebildern.

„Ein oder zweimal in der Woche fuhren wir hinaus ins Grüne, und selbst gelegentlicher Schneefall im ausgehenden Winter hielt uns nicht zurück. Wir fuhren durch den Grunewald, Uwe Johnson voran, dann Ingeborg Bachmann, dann ich. … der Arzt hatte ihr das Radfahren verschrieben, Bewegung war notwendig für sie, und so war der Fahrradclub entstanden. … Sie war fröhlich, ausgelassen und sprang auf ihr Fahrrad wie ein junges Mädchen, fast sportlich. Nie zeigten sich bei ihr Ermüdungserscheinungen.“

MUSIK

Die Musik ist ein wiederkehrendes Element in Gert Jonkes Arbeit und diese Liebe zur Musik verbindet ihn auch mit Ingeborg Bachmann. Gert Jonke hat, wie auch Ingeborg Bachmann, in seiner Jugend begeistert Klavier gespielt. Beide haben aber früh damit aufgehört um sich der Literatur zu widmen: Jonke ärgerte sich über seine zu kleinen Finger, Bachmann fand ihr Talent nicht ausreichend. Die musikalischen Kenntnisse sind trotzdem ein wichtiger Einfluss auf das Werk der beiden Autoren: „Ich fühle mich eigentlich weniger als Schriftsteller, sondern mehr auch als Komponist. Mit meiner Sprache komponiere ich.“, erklärte Jonke. Von Ingeborg Bachmann weiß man, dass sie mühelos Notenlesen konnte, was für die Arbeit an den Libretti für Hans Werner Henzes Kompositionen natürlich sehr hilfreich war. 

UNGARETTI

Ein weiteres verbindendes Element sind die Gedichte von Giuseppe Ungaretti, die Bachmann und Jonke beide sehr geschätzt haben, und die von Ingeborg Bachmann ins Deutsche übersetzt wurden.