INGEBORG-BACHMANN-KUPPEL
21. April - 18. Mai 2023 | Karlsplatz, Wien
Ein Projekt für die künstlerische Aktivierung des öffentlichen Raums
von Gerhard Fresacher und Armin Guerino
Künstlerischer Entwurf und Konstruktion der Kuppel: Armin Guerino (2021)
A project for the artistic activation of public space
by Gerhard Fresacher and Armin Guerino
Artistic design and construction of the dome: Armin Guerino (2021)
Die Kunst ist dem Menschen zumutbar
- von Lukas Meschik
Von 21. April bis 18. Mai 2023 stand am Wiener Karlsplatz die Ingeborg-Bachmann-Kuppel nach einem Konzept von Gerhard Fresacher und Armin Guerino. Ihr ist nichts passiert.
Als Wiener und Karlsplatzkenner machte ich mir große Sorgen: Würde mein Wien, würden meine Wiener mit der wie ein Raumschiff am Karlsplatz gelandeten Bachmannkuppel umzugehen wissen? Vor dem geistigen Auge sah ich betrunkene Halbstarke grob an den Spiegeltüren reißen oder als Mutprobe das Bücherdach erklimmen, ich sah Hundebesitzer ihre Tiere anfeuern, am Kuppelgestänge ihre Notdurft zu verrichten. Nichts davon bewahrheitete sich. Die Bachmannkuppel hat nicht nur überlebt, sie hat ihren Aufenthalt in Wien völlig unbeschadet überstanden. Es scheint in den Spiegelflächen keinen einzigen Kratzer zu geben, bloß die erwartbaren und willkommenen Verschmierungen von menschlichen Händen – das Eindringen des Profanen in die Sphäre des Erhabenen.
Knapp einen Monat lang stand die Bachmannkuppel schutzlos und verletzlich am Wiener Karlsplatz, war nicht nur der Witterung ausgesetzt, sondern eben auch den Launen und Nöten der Leute ausgeliefert, und genau diese Leute haben sich als würdige Begegner erwiesen – die Präsenz der Kuppel provozierte eben keine Gegnerschaft, sondern lud ein zur interessierten Begegnung. Die Bachmannkuppel war umgeben von einer magischen unsichtbaren Sphäre der Unzerstörbarkeit, sie war zu schön, als dass jemand gewagt hätte, sich an ihr zu vergehen. Sie sprach alle Sinne an, funkelte glücklich im sanften Frühlingslicht, die tagsüber laufende Tonspur machte nachdenklich; sobald die klimpernde Musik erklang, wurde die Kuppel zur Spieluhr. Kinder liebten es, die robust verbauten Drehtüren zu bewegen und sich im kreisrunden Spiegelkabinett zu verlieren, und die Erwachsenen liebten es auch, wurden im ausgelassenen Spiel zu großen Kindern. (Schon bei meinem ersten neugierigen Beschauen der Kuppel und Erproben ihrer Möglichkeiten fiel mir auf, wie bewusst und klug sie gebaut war, dass es bei allen drehbaren Elementen und fixierenden Stangen keinen einzigen Zwischenraum gab, in dem sich ein Kind die Finger einzwicken konnte – genau das tun sie ja ständig.) Die Bachmannkuppel war und ist zu stark, als dass sich jemand mit ihr anlegen würde. Sie strahlt eine außerirdische Ernsthaftigkeit aus, die nicht von dieser Welt ist, sie sendet Nachrichten aus dem Reich der Toten, aus Klagenfurt, aus Rom, aus dem Ungargassenland im dritten Bezirk.
Die Wiener und die zum Wiener Stadtbild gehörenden Touristen haben das verstanden und sich ihrer erfreut. Sie haben aufmerksam zugehört, nachgefragt, geschaut, sich gespiegelt, an den Türen gedreht und hunderttausend Selbstportraits geschossen. Sie haben verstanden, dass die Bachmannkuppel ein wohldurchdachtes Geschenk ist, das nur für sie dort steht – ihnen sollte nichts verkauft werden, nichts angedreht, ihnen wurde nur etwas als schönes Rätsel in den Raum gestellt. Die Bachmannkuppel steht da als ergiebige Frage auf alle unsere Antworten. Niemand wird ihr etwas tun.
Vor 70 Jahren wurde Ingeborg Bachmanns Gedicht „Die gestundete Zeit“ erstmals publiziert. Der gleichnamige Lyrikband, hat die öffentliche Wahrnehmung von Ingeborg Bachmann entscheidend beeinflusst und zu ihrer Popularität beigetragen.
Dieses Gedicht war die Inspiration für die Ingeborg-Bachmann-Kuppel, deren Aufbau von Armin Guerino wie ein Uhrwerk konstruiert wurde: Zwölf Säulen tragen zwölf Spiegeltore, die von den Passant:innen gedreht werden können, sie öffnen und schließen, und so das Erscheinungsbild der Kuppel verändern. Am Dach der Kuppel sind Spiegel in Form von Buchdeckeln angebracht. Die Spiegel der Kuppel reflektieren den Augenblick und laden so ein, Neues im Gewohnten zu entdecken und die Gegenwart selbst zu reflektieren. Das Gedicht weißt auf einen unfreiwilligen Aufbruch im Bewusstsein der eigenen Endlichkeit hin. In der Kuppel spiegeln sich die Passant:innen auf ihren Wegen und die Umgebung am Karlsplatz, in ständiger Bewegung und dem Wandel der Tageszeit.
Ingeborg Bachmann's poem "Die gestundete Zeit" was first published 70 years ago. The poetry collection of the same name, has decisively influenced the public perception of Ingeborg Bachmann and contributed to her popularity.
This poem was the inspiration for the Ingeborg Bachmann Dome, whose structure was constructed by Armin Guerino like clockwork: Twelve columns support twelve mirrored gates that can be turned by passersby:inside, opening and closing them, thus changing the appearance of the dome. Mirrors in the form of book covers are attached to the roof of the dome. The dome's mirrors reflect the moment, inviting us to discover something new in the familiar and to reflect on the present itself. The poem points to an involuntary departure in awareness of one's own finitude. The dome reflects the passers-by on their paths and the surroundings at Karlsplatz, in constant movement and the change of the time of day.
GEWINNERPROJEKT der Kärntner Kulturstiftung 2021
Das Kuratorium der Kärntner Kulturstiftung (KKS) hat 2021 mit seinem 1. Call unter dem Titel „Umbrüche“ das Projekt Ingeborg-Bachmann- Kuppel aus 159 eingereichten Projekten per Juryentscheid ausgezeichnet. Maßgeblich für die Entscheidung war die hochwertige künstlerische Qualität sowohl in Bezug auf die Kuppel als auch auf ihr Bespielungskonzept mit hochkarätiger Besetzung. Interdisziplinarität, Internationalität, Nachhaltigkeit und Wirkung im stark frequentierten öffentlichen Raum waren wichtige Entscheidungskriterien.
Gesamtkonzept: Gerhard Fresacher und Armin Guerino
Künstlerischer Entwurf und Konstruktion: Armin Guerino
In 2021, the Board of Trustees of the Carinthian Cultural Foundation (KKS) awarded the Ingeborg Bachmann Dome project out of 159 submitted projects by jury decision with its 1st call under the title "Umbrüche" ("Upheavals"). Decisive for the decision was the high artistic quality of the dome as well as its concept of staging with a top-class cast. Interdisciplinarity, internationality, sustainability and impact in a highly frequented public space were important decision criteria.
Overall concept: Gerhard Fresacher and Armin Guerino
Artistic design and construction: Armin Guerino
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